20.10.2007


"Die Nacht, der Tod"
Kriminalroman
219 Seiten, harter Einband
Sonderexemplar 9,80 €
plus Versand
"...ein Kriminalroman mit Gedanken. Sein Stil ist knapp, lakonisch, originell, hinreissend sein Witz, so unmittelbar wie unverhofft und treffsicher. Man hat selten einen Roman so aus einem Guss, ohne Risse und Sprünge gelesen.
Willi Voss schreibt Kriminalromane und Politthriller, wie es sie bislang in der deutschsprachigenLiteratur nicht gab".
Neue Zeit
zu bestellen unter willi.voss1@freenet.de

LA SEGUNDA DE VERDAD


Die Sekunde der Wahrheit ist beim Stierkampf jener Augenblick, in dem der Stier durch Stellung der Vorderläufe und Senken des Kopfes jenen winzigen Punkt in seinem Nacken öffnet, durch den der Matador die tödliche Klinge seiner Estoca stoßen wird. Für den Betrachter ist dieser "Moment der Gnade" erkennbar - für das Opfer die letzte Überraschung und der Beginn seines Sterbens.
Die Sekunde der Wahrheit des Schriftstellers ist der unverhoffte Beginn der Schreibblockade. Ist diese Sekunde, die ihn erkennen lässt, dass das leere Blatt in seiner Schreibmaschine leer bleiben wird. Und dass die Bilder, die seinen dröhnenden Kopf zu sprengen drohen, wie Wasserflecken auf heißen Steinen verdunsten und die Sätze, welche diese Bilder beschreiben, durch irgendeinen Riss in seinem Hirn ins Nichts zerflattern.
Während der Stier in die Dunkelheit fällt und aufhört zu sein, stürzt die Schreibfähigkeit des Autoren in das Schattenreich einer perfiden Impotenz: Er lebt, er fühlt, er isst und trinkt, spricht, liest und geht mit seiner Frau ins Bett. Die Belegexemplare im Regal, die gesammelten Rezensionen, die Anrufe seines Lektors, die an den Abgabetermin erinnern, liefern ihm den Beweis, dass er ES kann. Er sitzt auch pünktlich wie immer vor seinem Rechner, hämmert auf die Tasten, füllt die Seite mit Buchstaben, mit Sätzen, formuliert seine Dialoge, triumphiert gar, weil er ES überwunden zu haben glaubt... Doch dann, wenn er seinen Text, die Szene überprüft, dann - spätestens dann - sieht er mit Grauen den Schatten hinter der Hinrichtungsmaschine, hört er die höhnende Stimme des Exekutors: So sehr du dich quälst, mein Freund, die Kugel ist gefallen - rien ne va plus!

Als der Degen mich traf, hatte ich mich nach langem Auslandsaufenthalt wieder in Deutschland etabliert. Das in der Gewissheit des Erfolgs gekaufte Landhaus war renoviert, der Garten gestaltet, das richtige Auto stand in der Garage. Im Fernsehen liefen meine Filme. In den Buchhandlungen verkauften sich meine Bücher. Die Post brachte Einladungen zu Podien, Workshops und Lesungen. Ich war in der komfortablen Lage, auch lukrative Aufträge aus Zeitmangel ablehnen zu müssen. Und wenn die Statistik auch für mich galt, hatte ich noch ein erkleckliches Stückchen Leben vor mir.
Aber nach dem Stoß war es kein Leben mehr. Es war eine verschärfte Art des Vegetierens ganz hart am Abgrund.

Angst. Lethargie. Sich in einen Kokon hüllen. Vereinsamen. Unduldsam sein. Den Tod beschwören, ihn herbeiwünschen. Fliehen in hektische Aktivitäten, die mit dem Schreiben nichts zu tun haben. Sich permanent suchen, aber nie finden. Und immer wieder flüchten, flüchten. Verluste nicht nur fürchten, sie erleiden. Und dennoch schleppte ich mich an die Maschine, saß ich dort meine Strafe ab, formulierte, korrigierte, strich, kämpfte mich zum Ende der Geschichte, die nicht nur den Selbst-, sondern den Marktwert zurück erobern sollte. Aber spätestens nach der dritten Absage wusste ich, dass die Zeiten sich ebenso wie das Papier der vergilbenden Auszeichnungen und Preise verändert hatten. Der Zug der einstigen Erfolge rostete auf dem entlegendsten Abstellgleis vor sich hin.
Dennoch: Aus der Tiefe, von dort, wo man sich einst wusste und jetzt nur noch vermutete, ertönte eine dünne Stimme, erklang zunächst nur schwacher, dann schreiender Protest. Das kann es nicht gewesen sein! Du hast die Kraft! Du kannst es immer noch! Was du brauchst, ist Mut, ist Ausdauer, ist der Hauch deines alten Selbstvertrauens! Nur wer aufgibt, verliert! Gehe endlich wieder an die Maschine und zeige, was du kannst!
Du gehst, weil du dich zwingst. Du kämpfst mit der weißen Fläche, mit dir, der du dauernd davonlaufen willst. Aber du weißt, dass es deine letzte Chance ist. Die letzte! Was dann am Ende des Kampfes heraus kommt, ist ein dicker Stapel Papier, eine Geschichte, in die du so ziemlich alles gesteckt hast, was in dir ist.
"Irrer Plot", sagt dein Agent, der trotz der langen Agonie immer wieder mal wegen der "alten Zeiten" angerufen hat. "Ein hervorragender Roman", sagt er. "Den verkaufe ich mit links".

Das hoffe ich. Noch mehr jedoch, das die verdammte Segunda de verdad ein dunkler Punkt im Kosmos meiner Erinnerung bleibt.

LA SEGUNDA DE VERDAD