24.10.2007

Warum ich keine 237 Romane schrieb

Als ich mir noch keine Gedanken über das Schreiben machte, saß ich vor einer Schreibmaschine. Die Seiten flogen da nur so heraus. Zehn, zwanzig, und wenn es unbedingt sein musste, auch mal vierzig pro Tag. Finger und Bauch waren hervorragend verdrahtet, der Kopf nichts weiter als Leinwand, von der ich mir die Bilder abguckte. Die Worte flossen, die Sätze stimmten auf Anhieb. (Mein erster Roman enstand in gerade mal vier Tagen!) Gegen das einfache Verschreiben lagen Tippex-Streifen bereit. Schwere Fälle wurden mit Pinsel und Liquid erledigt. Probleme bereitete lediglich die Post. Die spanische, mit der ich damals zu tun hatte und in die Franco meiner Meinung nach seine faulsten und miesesten Sadisten geparkt hatte. Jeder einzelne ein Caudillo mit der Dienstanweisung aus Kafkas "Schloss" in der mit Schmiergeldern angereicherten Tasche. Trotz der von ihnen ausgelösten Albträume kamen die Manuskripte wundersamerweise nach ungefähr drei Wochen an.
Als ich anfing, mir Gedanken über das Schreiben zu machen, saß ich vor einem Dreizehnzoll-Bildschirm, aus dem grellweiß auf bernsteingelbem Feld die Buchstaben blinzelten. Angeschlossen war der Augenkratzer an einen Kasten, mit dem man seinen Text (wenn er denn nicht abstürzte) auf biegsame Plastikscheiben speichern und beliebig oft korrigieren und verändern konnte. Das war der Fortschritt schlechthin. Hieß es in der Werbung.
Endlich war dem geplagten Schreiber das Instrument an die Hand gegeben, mit dem er seinen Text in Atem beraubender Geschwindigkeit bis zur Vollendung stylen konnte. Kein Papier mehr aus der Schreibmaschine zerren, alles nur noch auf dem Bildschirm formen, jedes Wort unter die Lupe nehmen - und alles ohne den Horror, Geschriebenes + Durchschlag in den Papierkorb schmeißen zu müssen.
Ich war hin und weg und zum Technikfreak mutiert. Die Olympia landete bei einem Neandertaler, der bereit war, den Faustkeil fallen zu lassen. Meinem wütenden Lektor versprach ich, diesmal den Abgabetermin höchstens um drei Wochen zu überschreiten. Wegen der noch nicht ganz geglückten Gewöhnung an den rasanten Zug der Zeit, der meine Augen rot, die Haare grau gefärbt und die wunderbaren Bilder auf meiner Kopfleinwand gelöscht hatte. Ich wurde zum Sklaven dieser brummenden Kiste, in der - das begriff ich aber erst viel später - keine Drähte und Platinen, sondern dieser neue Gott hauste, der den alten und sämtliche Sadisten der spanischen Post locker in den Schatten stellte.
Ich wurde zur Schnecke. Zur Schnecke gemacht von diesem heißgeliebten Kasten, der sofort bockte, wenn man ihm nicht seine gesamte Aufmerksamkeit schenkte. Die Drähte, die Finger, Bauch und Kopfkino verbunden hatten, gab es nicht mehr. Sie lagen als Opfergabe vor den Füßen des neuen Gottes, der bis heute zynisch grinst, wenn er beobachtet, wie ich mein Geschriebenes drehe und wende, lösche und neu schreibe und noch langsamer werde.
Mit dem Weniger der klappernden Olympia hätte es sicherlich dieses Mehr gegeben, vielleicht sogar die 237...

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