06.08.2009

INTERVIEW ( 1 ) + 2





















Frage: Anfang der neunziger Jahre des vorigen Jahrhundert waren Sie auf dem Höhepunkt Ihrer schrifstellerischen Karriere. Regelmäßig erschienen Krimis, Thriller und von Ihnen geschriebene Fernsehfilme. Zusammen mit einem befreundeten Regisseur bereiteten Sie die Produktion eines Kinofilms über das Sektenunwesen vor. Doch plötzlich, sozusagen über Nacht, sind Sie verstummt. Selbst für Freunde waren Sie nur schwer oder gar nicht zu erreichen. Jetzt, nach sechzehn Jahren der „Abstinenz“, wie Sie es ausdrückten, versuchen Sie mit einem umfangreichen Thriller Ihr Comeback. Darf ich fragen, was zu Ihrem Verstummen geführt hat?
Voss: Eine Art Erwachen in einer Nebenwelt, in der zielgerichtetes Schreiben unmöglich ist.
Frage: Nebenwelt klingt nebulös, um es vorsichtig auszudrücken.
Voss: Ist aber konkret. Du wachst eines Morgens auf, trinkst deinen Kaffee, rauchst dein Kraut und setzt dich an den Rechner, um wie gewohnt deine Geschichte fortzuführen. Der Rechner funktioniert, die Bilder, die du in Text umsetzen willst, stehen klar vor dir – was nicht geht, ist, sie auf den Bildschirm zu transportieren.
Frage: Sie hatten also eine Schreibblockade?
Voss: Nein. Ich schrieb ja. Sogar recht viel. Zwang mich dazu, in der Hoffnung, diesen unseligen, selbstverletzenden Zustand durch Routine überwinden zu können. Aber was ich auch schrieb, es genügte mir nicht, war in meinen Augen unbrauchbar. Letztlich waren meine Zweifel stärker als der Wunsch, den Text zu erhalten. Trotz der mir im Nacken sitzenden Ablieferungstermine.
Frage: Sind Sie nie auf die Idee gekommen, das Geschriebene von einer anderen, einer neutralen Person z. B. Ihrem Lektor beurteilen zu lassen, um so Sicherheit zu gewinnen?
Voss: Vielleicht habe ich daran gedacht, ja, ganz sicher sogar, aber ... ich war nicht in der Verfassung, mein Problem in die Welt zu tragen. Möglicherweise hat es damit zu tun, dass mir von Kindesbeinen eingebläut wurde, nur Versager suchen Hilfe. Anders ausgedrückt: Man hat mit seinen Problemen selbst fertig zu werden. Ich habe das Phänomen ja auch nicht als grundsätzliches gesehen, sondern als vorübergehendes Symptom überkritischer Betrachtung, verursacht durch Überarbeitung und einer gewissen Erfolgsverwöhntheit. Sozusagen als eine Unpässlichkeit, die sich nach einigen Tagen Entspannung verflüchtigen würde.
Frage: Sind Ihnen die Stoffe ausgegangen?
Voss: Im Gegenteil, ich produzierte unzählige. Leider nur in Form von Exposees. Fatal war, das ich ausgerechnet während dieser Zeit eine ganze Reihe von lukrativen Angeboten erhielt. Hauptsächlich Drehbücher, aber auch Kooperationsangebote, die ich allesamt entweder ignorierte oder unter Vorwänden ablehnte. Macht natürlich keine Freunde. Da ist sehr viel bachabwärts gegangen. Im Dschungel hast du nur eine Chance, wenn du mit den Schnellen mitrennen kannst. Ich war nicht nur nicht schnell, ich war der Kerl mit der Krücke und den sehr, sehr kurzen Schritten. Panik im Kopf, Maske auf der Nase. Nur nicht zugeben, dass sie das blanke Elend verbirgt. Das Elend eines Legionärs, der sicher ist, noch genügend Munition im Tornister zu haben, aber sein Pulver bereits verschossen hat.
Frage: Heißt das, Sie waren sich über Ihren Zustand gar nicht im klaren?
Voss: Was heißt denn Zustand?
Frage: Dass Mediziner bei Ihnen sicherlich ein Burnout-Syndrom diagnostiziert hätten.
Voss: Und einige schlimme Sachen mehr.
Frage: Haben Sie Ärzte zu Rate gezogen?
Voss: Irgendwann, als es unerträglich wurde. Einen Neurologen. Er fragte meinen Lebenslauf ab, legte einen Haufen Termine fest und verschrieb mir Chemiekügelchen. Die verhalfen mir zwar nicht wieder zum Schreiben, sorgten aber dafür, dass ich über mir schwebte und mir mein Problem und die Folgen scheißegal waren. Glücklicherweise blieb ein Teil meiner grauen Kontrollmasse unbeeinflußt. Ich hatte einen lichten Augenblick und warf das Zeug in den Müll. Als ich wieder auf der Erde war, wusste ich, dass nur ich selbst mich aus dem Sumpf ziehen konnte. Das ist mir schließlich auch gelungen.
Frage: Wie?
Voss: Ich habe mich in Aktivitäten aller Art gestürzt, wurde Lokalpolitiker, Parteirebell, Aktivist einer Bürgerinitiative, Zeitschriftenverleger, Druckereinhaber, Mitbesitzer eines Rennstalls, dann auch Rennfahrer, operierte erfolgreich als Undercoveragent in einer ziemlich üblen Sekte, verlor gegen den Alkoholismus einer mir nahestehenden Person, versuchte meinem Sohn gerecht zu werden und fand im Süden Deutschland ein neues, befreiendes Umfeld. Im Übrigen führte ich weiter Krieg mit den Geistern, die mich hinderten, brauchbare Romane zu schreiben. Erfolgreich, wie sich nun zeigt.
Frage: Es handelt sich um einen voluminösen Thriller, der das Okkulte thematisiert.
Voss: Das Okkulte? Die Macht des Glaubens, würde ich sagen. Wie sie den Menschen beherrschen, deformieren und zum tödlichen Werkzeug machen kann.
Frage: Wie kamen Sie ausgerechnet zu diesem Thema?
Voss: Über eine Industriellenfamilie, die – wie mehrere andere - in die Fänge einer Sekte geraten ist. Dem Unternehmen drohte der Kollaps durch massiven Geldabfluss. Die Familie – Anhänger und Gegner der Sekte – bekämpften sich bis aufs Blut. Es ging hin bis zu Mordversuchen. Es gab Mitglieder, die moralisch und materiell derart unter Druck gesetzt wurden, dass sie den Freitod als einzigen Ausweg wählten. Ich wurde, offenbar, weil ich damals ein Magazin herausgeben habe, über einen Freund von einem Angehörigen der Familie kontaktiert und gebeten, über die Machenschaften zu berichten. Daraus entwickelte sich die Idee, die Sekte mit dem Ziel zu infiltrieren, Beweismaterial zu recherchieren. Was ich innerhalb der Sekte an Glaubens- und Machtmissbrauch, an Manipulationstechniken, Ausbeutung und Ängsten erfuhr, brachte mich schließlich auf die Idee, diesen Roman zu schreiben. Allerdings bilde ich nicht eins zu eins ab, sondern spiele auch mit dem Mythos des allen Religionen innewohnenden und von Sekten zum Herrschaftsinstrument missbrauchten Jenseitsversprechens, mit altägyptischen und christlichen Legenden und einer Schauergeschichte, die meine Mutter mir vor gut fünfzig Jahren erzählt hat.

Fortsetzung:

Frage: Schauergeschichte?
Voss: Eine wahrscheinlich nur mündlich überlieferte Legende, die vermeintlich Antwort auf die Frage des Weiterlebens nach dem Tode bietet, geschöpft aus dem Reservoir der Religionen, in diesem Fall des spekulativen Aberglaubens, der Spökenkiekerei, wenn man so will. Eine Legende, die verblüffend eindeutige Bezüge zu dem vor etwa viertausend Jahren entstandenen ägyptischen Totenbuch herstellt. Sie beschäftigt sich allerdings nicht wie das Totenbuch mit Anweisungen, wie man sich im Jenseits gegen die unzähligen Schrecknisse vor dem Erreichen des Paradieses wappnet, sie suggeriert eine nur Eingeweihten vorbehaltene Prozedur, die es ermöglicht, unbeschadet Kontakt mit den jenseitigen Mächten aufzunehmen.
Frage: Ein gewagter Stoff für einen Krimi.
Voss: Ist es angesichts der Glaubenswirkungen – ich verweise hier nur die Sektenproblematik, deren Extrem das Phänomen Selbstmordattentäter ist - nicht eher auf der Hand liegend, sich per populärem Genre damit auseinanderzusetzen? Seit Beginn der uns bekannten Geschichte beschäftigen sich die Menschen mit der Frage, was nach dem Tod sein wird. Für die meisten Religionsgemeinchaften ist die Vorstellung eines jüngsten Gerichts als Sortiermaschine für Himmel und Hölle Credo. Inwieweit diese Vorstellung Machtinstrument zur Disziplierung der Anhänger ist, mag jeder für sich beantworten. Klar ist, das Milliarden Menschen an diese wahrscheinlich von den alten Ägyptern initiierte Konstruktion glauben und ihr Verhalten mehr oder weniger gelöst danach ausrichten. Darüberhinaus: Warum den Wein immer in die gleichen Schläuche füllen, warum nicht gegen Regeln verstoßen? Außerdem ist das Jenseits nicht „das“ Thema des Romans. Es ist Mittel der Verdeutlichung, das Vehikel, überzeugungsbestimmte Handlungsweisen zu erklären. Im Übrigen ist jeder Roman ein Wagnis. Ob das Ergebnis vom Leser angenommen wird, eine Frage der Glaubwürdigkeit des Dargestellten.
Frage: Im Mittelpunkt des Romans steht eine Sekte, die vorgibt, im Besitz des „wahren Glaubens“ zu sein, ein Glaube, der die Fundamente der christlichen Kirche zum Einsturz bringen wird. Folgerichtig ist es – neben der Polizei – die Kirche, die mit allen Mitteln Jagd auf den abtrünnigen Guru macht. Das erinnert an „Sakrileg“ und lässt fragen, ob Sie sich von Dan Browns Geschichte haben inspirieren lassen.
Voss: Richtig datiert wird ein Schuh daraus. Erstens war die Rohfassung der „Pfordete des Todes“ Jahre vor der Herausgabe des „Sakrileg“ fertig – ich glaube bereits 1999. Ab 2003 bot ihn mein Agent bereits den Verlagen an. Leider vergeblich. Dennoch bin ich heute froh darum, haben die Ablehnungen mir doch die Möglichkeit gegeben, das Buch immer wieder zu überarbeiten und, wie ich glaube, zu vervollkommnen. Zweitens habe ich mich im Gegensatz zu Brown zu keinem Zeitpunkt von anderen Romanen inspirieren lassen. Als Quellen habe ich ausschließlich Sach- und Fachbücher benutzt. Religions-, Kirchen-, altägyptische Geschichte, seriöse Werke über die Templer. In meinen Regalen stehen rund zweihundert solcher Werke. Die religiösen Bezüge bilden darüberhinaus auch nur einen Aspekt der Geschichte, einen wichtigen, aber nicht den wichtigsten. Sollten Leser - ob gläubige oder nicht - sich von dem Stoff verletzt fühlen, verweise ich auf die historisch gesicherten Tatsachen. Tatsächlich geht es in diesem Roman um Menschen in außergewöhnlichen Umständen, die sich außergewöhnlichen Ereignissen zu erwehren haben. Es geht um Polizisten, um deren privates und dienstliches Umfeld, um Verführte, um Verführer, um Opfer und Täter, um all das, was Leben im Bereich des Verbrechens ausmacht. Nicht nur nach meiner Beurteilung handelt es sich bei der „Pforte des Todes“ um ein Stück realistisch erzählter Spannungsliteratur. In welches Subgenre er letztlich eingeordnet wird, liegt nicht nur nicht in meinem Ermessen, es ist mir piepegal.
Frage: Sind Sie religiös?
Voss: Solche Fragen beantworte ich nicht.
Frage: Ihren ersten Krimi haben Sie innerhalb von vier Tagen geschrieben, wie lange benötigten Sie für die „Pforte des Todes?“
Voss: Gedanklich rumorte der Stoff seit meiner Kindheit in mir herum, ernsthafte Gedanken über den Plot machte ich mir seit 1979, zum Schreiben inklusive der Recherche und der unzähligen Neufassungen und Überarbeitungen benötigte ich gute zwölf Jahre.
Frage: Sie haben Ihre Geschichte rund um das „nationale Heiligtum“, das Kaiser-Wilhelm-Denkmal an der Porta Westfalica angesiedelt. Ist die Wahl dem Erfolg der sogenannten „Regiokrimis“ geschuldet?
Voss: Ich kann mit dem Begriff nichts anfangen. Er impliziert, dass jeder Roman ein Regiokrimi ist, gleichgültig, ob er in Bokel oder in Boston spielt. Mag ja sein, dass Autoren und Verleger auf Leser setzen, die sich freuen, wenn ihr Kiosk an der Ecke in der Geschichte vorkommt, in der Regel wird es aber so sein, dass der Autor über das schreibt, was er kennt. Und das ist nun mal der Kiosk an der Ecke. Dass Verleger aus Marketinggründen Geschichten aus ihrer Region veröffentlichen, hat meines Erachtens ausschließlich mit der Kassenlage zu tun.
Frage: Das deutsche Feuilleton unterscheidet immer noch zwischen U und E, also unterhaltenden und ernsthaften Autoren ...
Voss: Bedeutungsschwangerschaft gebiert ja auch keine Kinder, sondern Schubladen ...
Frage: Wo sehen Sie sich insoweit?
Voss: Wenn schon in einer Schublade, dann in der mit den Autoren, die sich ernsthaft bemühen, gute Geschichten zu verfassen. Meine Schreibe habe ich immer als ein aus Neigung und Drang gefüttertes Handwerk betrachtet. Mein Ziel ist der Leser, der ein Recht auf glaubwürdige und vor allem spannende Geschichten hat. Möglichst kunstvoll arrangiert, aber nicht in der Absicht geschrieben, jene Kunst zu schaffen, die dieses spezielle Feuilleton liebt. (Lacht) Die wahre Kunst besteht ja offensichtlich darin, die Geschichten zu verkaufen und zu vermarkten. Sagt der Zyniker, den man in der Branche als Ratgeber ganz gut gebrauchen kann, sollte man sich im Laufe seiner Karriere nicht selbst zu einem entwickelt haben.