19.09.2025

 

 

Nazikeule, Schablone, Dauerfeuer 

– oder wie man Kritik in Deutschland entsorgt

Deutschland, das Land der Regeln, hat sich eine besonders raffinierte Methode ausgedacht, Debatten abzukürzen: die Schablone. Wer inhaltlich nicht weiterweiß, greift zur Nazikeule, setzt den Stempel „Antisemitismus“ oder „rechts“ und schon ist der Kritiker erledigt. Eine wunderbar einfache Technik: ökonomisch, effizient, emotionsgeladen – und für jede Talkshow geeignet.

Das Problem: Die Schablone arbeitet mit Generalverdacht. Wer Kritik an Israels Vorgehen in Gaza übt, landet nicht selten in der Antisemitismus-Schublade. Wer gegen überbordende Bürokratie wettert, steht mit einem Bein bei den „Reichsbürgern“. Wer Gendersprache infrage stellt, muss angeblich schon AfD-Flyer im Keller lagern. So wird aus einer pluralistischen Demokratie ein Diskurs-Sandkasten, in dem jeder jedem mit Förmchen eins überzieht.

Dabei ist die Doppelmoral nicht zu übersehen: Antisemitismus wird juristisch verfolgt – zu Recht. Doch warum bleiben andere pauschale Verunglimpfungen nahezu folgenlos? Deutsche im Ausland werden als „Moffen“ und „Nazis“ beschimpft, Franzosen sind „Froschfresser“, Niederländer „Kaasköpfe“. Das ist nicht weniger plump, nicht weniger verletzend, nur eben nicht mit der gleichen politischen Gravität ausgestattet. Wer sich wehrt, bekommt zu hören: „Stell dich nicht so an.“

Hier liegt der Kern des Problems: Das Alleinstellungsmerkmal „Antisemitismus“ gerät zur Projektionsfläche. Statt antisemitische Ressentiments konsequent, aber nüchtern zu verfolgen, wird die moralische Keule geschwungen. Das erzeugt paradoxerweise nicht weniger, sondern mehr Antisemitismus. Denn es nährt das Gefühl, eine Gruppe werde als „mehr wert“ betrachtet, während andere Diffamierungen bagatellisiert werden. Ausgerechnet das, was bekämpft werden soll, wird verstärkt.

Wie also raus aus der Schablonen-Falle?

  1. Trennung von Kritik und Hetze. Kritik an staatlichem Handeln (auch an Israel) ist erlaubt, ja notwendig. Hetze gegen Menschen aufgrund ihrer Herkunft oder Religion ist etwas anderes. Wer beides verwischt, schadet am Ende allen.
  2. Gleiche Maßstäbe. Wenn Antisemitismus juristisch verfolgt wird, sollten auch systematische Beleidigungen anderer Nationalitäten oder Gruppen ernster genommen werden. Nicht jede Dummheit gehört vor Gericht, aber ein Mindestmaß an Gleichbehandlung wäre schon hilfreich.
  3. Sprache entschärfen. Die Nazikeule als Dauerwaffe stumpft ab. Wer alles „rechts“ nennt, erzeugt den Effekt von Shitstorms im Netz: Lärm, Empörung, Rufmord – und null Erkenntnisgewinn.
  4. Bildung statt Beschallung. Statt Dauerschleifen von Hitler-Dokus oder ritualisierter Gedenkreden wäre eine sachliche Aufklärung sinnvoll: Wie unterscheiden sich Meinungsäußerung, Kritik und echte Hetze? Nur wer das versteht, kann sich gegen Schablonendenken immunisieren.

Deutschland täte gut daran, den moralischen Vorschlaghammer in die Werkzeugkiste zurückzulegen. Kritik muss ausgehalten werden – auch wenn sie unbequem ist. Wer jede Abweichung mit der Schablone erledigt, zerstört das Fundament der offenen Gesellschaft.

Am Ende gilt: Ein Vorwurf, der inflationär benutzt wird, verliert seine Kraft. Wer wirklich gegen Antisemitismus kämpfen will, sollte ihn nicht zur Allzweckwaffe machen, sondern zum klar definierten, scharf begrenzten Tatbestand. Alles andere führt zu jenem paradoxen Zustand, in dem man Antisemitismus bekämpfen will – und ihn dabei selbst befeuert.


17.09.2025

 

Hitlers Hunde und die deutsche Dauerschleife

Es gibt Abende, da könnte man meinen, die Fernsehredaktionen hätten nur eine einzige Schublade: „Nazizeit“. Egal ob Phoenix, ZDFinfo oder Arte – irgendwer zeigt garantiert gerade wieder Hitler beim Hände-in-die-Hüften-Stemmen. Bald wird vermutlich noch eine Doku über seine Zahnpasta folgen. „Hitlers Hunde“ oder „Nazipferde“ sind inzwischen nicht mehr nur böse Witze, sondern satirisch greifbare Zukunftsformate.

Man will erinnern, aufklären, mahnen. Das Problem: Irgendwann ist Schluss mit Mahnung, wenn sie wie eine Tropfsteinhöhle auf die Zuschauer niederperlt. Wer nach 1945 geboren ist, kann mit Recht fragen: „Und was genau habe ich damit zu tun?“ Doch wehe, man stellt diese Frage laut – schon hängt der moralische Pranger bereit.

Das pädagogische Dauerfeuer

In Deutschland gilt: Ohne Nazidoku kein Bildungsauftrag. Der Blick zurück ist Staatsräson. Jeder Schüler hat mindestens dreimal „Schindlers Liste“ gesehen, jede Abiturklasse mindestens einmal Dachau oder Buchenwald besucht. Sinnvoll? Ja. Aber irgendwann verwandelt sich die kluge Mahnung in ein pädagogisches Dauerfeuer. Die Moralkeule wird so oft geschwungen, dass man sie nicht mehr spürt – oder man schlägt zurück.

Denn da ist das Missverständnis: Erinnerung ist nicht gleich Schuld. Doch genau so wird es häufig verkauft. Menschen, die erst in den Fünfzigern, Sechzigern oder Siebzigern geboren sind, sollen noch immer ein Bekenntnis ablegen, als hätten sie persönlich in Braunhemden marschiert. Das Ergebnis: Trotz. Resignation. Oder schlicht genervtes Wegzappen.

Wenn Dokus zum Futter werden

Besonders absurd: Was als Aufklärung gedacht ist, dient Neonazis und Rechtsradikalen als Material für ihre eigene Märchenwelt. In einschlägigen Foren kursieren Ausschnitte aus seriösen Dokus, unterlegt mit Marschmusik und Heldenpathos. „Seht her, was für eine starke Zeit!“ wird dann geschrien. Und während der Sender noch glaubt, er hätte erzieherisch gewirkt, jubelt die rechte Blase: Gratispropaganda direkt aus der Mediathek.

Mit anderen Worten: Wer die Nazi-Schleife zu oft wiederholt, liefert unfreiwillig das Soundtrack-Album für jene, die man eigentlich immunisieren wollte.

Moralischer Druck als Bumerang

Noch heikler wird es, wenn persönliche Verantwortung ins Spiel kommt. Wer heute öffentlich spricht – sei es in einer Talkshow oder einem Interview – wird gern gefragt, ob er sich „zu seiner Verantwortung gegenüber den Juden und Israel“ bekennt. Verantwortung, klar. Aber nicht selten wird daraus ein Zwangsbekenntnis. Wer sich windet oder Differenzierungen wagt, landet schneller in der rechten Ecke, als er „Auschwitz“ buchstabieren kann.

Doch so einfach ist Geschichte nicht. Schuld ist nicht vererbbar. Verantwortung aber schon – im Sinne von Wachsamkeit, von demokratischer Haltung, von Wehrhaftigkeit gegen Antisemitismus. Genau dieser Unterschied ginge auf jede Postkarte. Doch solange man lieber die Dauerpumpe betreibt, verpufft die Botschaft.

Erinnerung braucht Frischluft

Was also tun? Weniger Hitler. Mehr Gegenwart. Statt die tausendste Analyse von Goebbels’ Reden zu senden, könnte man lieber fragen: Wie funktionieren Fake News heute? Welche Parallelen gibt es zwischen damaliger Propaganda und heutiger populistischer Rhetorik? Warum marschieren auch heute Menschen lieber hinter Schreihälsen her, statt Fakten zu prüfen?

Kurz: Erinnerung muss mehr sein als Wiederholung. Sie muss Kontext schaffen. Wer nur den Hitler-Kanal einschaltet, bekommt irgendwann Rückkopplungen – und zwar genau die, die niemand haben will.

Nie wieder – aber bitte intelligent

Die deutsche Dauerberieselung mit Nazi-Themen hat ihre Grenzen erreicht. Statt der endlosen Wiederholung braucht es Formate, die neu denken, Fragen stellen, Widersprüche aushalten. Wer weiter glaubt, man könne mit Hitler-Dokus den Rechtsextremismus besiegen, irrt.

Denn vielleicht ist das eigentliche Problem nicht das Vergessen – sondern das Überfüttern. Und wer überfüttert, muss sich nicht wundern, wenn manche irgendwann nach anderem Futter gieren.

16.09.2025

 

Mein Leser – das unbekannte Wesen

 


oder Der Jubel, der ausbleibt

Einige Leser hat mein neuer Thriller *Pforte des Todes* tatsächlich gefunden – so viel ist belegt. Ganze zwei E-Mails, ein einzelner Anruf und sogar ein nach Veilchen duftender Brief haben ihren Weg zu mir gefunden. Alle Reaktionen fielen äußerst positiv aus, doch leider erschöpften sie sich im selben Muster: „Toller Roman, Gratulation!“ – und Ende.

Wie frustrierend! Mein Herz, das zitternd dem Urteil der Leser entgegenfiebert, schreit nach mehr als bloßen Lobfloskeln. Warum, zum Teufel, sagt ihr mir, das Buch sei großartig, wenn ihr mir nicht verratet, warum?

Nach all den Jahren ohne literarische Streicheleinheiten lechze ich nach echter Rückmeldung, nach einer ausführlichen Urteilsbegründung! Wie ist mein Stil? Habe ich überhaupt einen? Wie gelungen ist der Aufbau der Handlung? Wie lebendig sind die Figuren gezeichnet? Und vor allem: Wie sehr strapaziert die Spannung eure Nerven? Kurz: Was genau macht meinen neuen Roman so fesselnd – ist er es überhaupt?

Durst nach begründetem Feedback

Ich habe Jahre auf diesen Moment hingearbeitet – die Wiedergeburt in der literarischen Öffentlichkeit. Jetzt, wo *Pforte des Todes* endlich erschienen ist, giert meine ausgehungerte Autorenseele nach detaillierten Reaktionen. Eine bloße Gratulation ohne Begründung ist wie ein Tropfen auf dem heißen Stein meines Egos.
Ich wünsche mir sehnlichst, dass die Leser nicht nur „gefällt mir“ ankreuzen, sondern mir erzählen, warum es ihnen gefällt (oder gar nicht gefällt!). Waren es meine originellen Wendungen? Der sprachliche Witz? Die glaubwürdigen Dialoge? Oder hat vielleicht die jahrelange Wartezeit eure Erwartungen in ungeahnte Höhen geschraubt? Ich stehe hier wie ein Angeklagter vor dem Richter – aber ohne die Urteilsbegründung, die mein schreibendes Herz so dringend braucht.

Warum nur? – Ironische Erklärungsversuche

Mangels echtem Feedback bleibt mir nur, in absurde Spekulationen zu flüchten. Vielleicht ist Pforte des Todes ja aus ganz anderen Gründen „toll“, als von mir naiv angenommen. Mögliche Ursachen für die Begeisterung – oder das Ausbleiben des Mega-Erfolgs – könnten sein:

- Versteckte Perle: Mein Roman muss erst gesucht werden, statt als riesige Bestseller-Pyramide im Buchladen-Eingang zu thronen. Nichts für Laufkundschaft, eher ein Geheimtipp für Schatzsucher.
- Keine Bestseller-Plakette: Pforte des Todes steht (noch) nicht seit drei Jahren unangefochten auf Platz 1 der Bestsellerliste. Vielleicht traut man dem Braten nicht, wenn der Spiegel sich bedeckt hält.
- Schlafmittel in Buchform: Möge mich der Blitz treffen für solche Lästerung – vielleicht taugt mein Roman am Ende nur als Rohstoff für hochwirksame, nach Buchbinderleim schmeckende Schlaftabletten?

Zwischen Hymne und Bannfluch

Dabei war das Echo keineswegs nur spärlich. Deutschlandfunk und FAZ et co. etwa haben sich meines Romans in Rezensionen angenommen – und zu meiner kaum verhohlenen Genugtuung nicht etwa vorsichtig, sondern mit kräftigen Worten gelobt. Von „spannend“, „vielschichtig“ und gar „literarisch bemerkenswert“ war die Rede. Worte, die mir das Herz wärmten und die Federn meines Ego-Pfaus kräftig zum Schwingen brachten.

Doch kaum hatte ich mich in dieser warmen Badewanne aus Anerkennung wohlig zurückgelehnt, tauchte am Horizont das andere Deutschland auf – jenes der moralischen Instanzen, die ihr Heil darin suchen, mit dem Bannstrahl zu drohen. Man flüsterte, dass gar die Exkommunikation im Raum stand. Ja, die Kirche sei beunruhigt über die Abgründe, die sich in Pforte des Todes lästernd aufgetan hätten, und habe ernsthaft über Sanktionen nachgedacht.

Zum Glück – oder leider, je nach dramaturgischem Standpunkt – scheiterte die angedrohte Exkommunikation an einem simplen Faktum: Ich gehöre keiner Kirche an. Ein kläglicher Fehlschlag für die Wächter der Moral, ein Triumph für die Bürokratie. So blieb mir der eigentliche literarische Ritterschlag, denn was kann eine größere Ehrung sein, als vom Kanzelpersonal höchstselbst aus der Gemeinschaft verbannt zu werden? Stattdessen blieb nur ein Schulterzucken: „Kann man nicht exkommunizieren, den Kerl – er hat ja keinen Mitgliedsbeitrag gezahlt.“

Ironischer kann ein Autorenschicksal kaum verlaufen: Auf der einen Seite das Lob der Kulturkritik, auf der anderen das ergebnislose Donnerwetter aus dem Beichtstuhl. Ich, der vom Kulturauge geadelte und von der Kirche bedrohte, stehe nun da und frage mich, was schwerer wiegt – die Hymne oder der Bannfluch, das Lob oder der halbherzige Tadel.

Ein Appell an den unbekannten Leser

Verzeiht meinem labilen Autorengemüt, aber ich stehe vor dem Nervenzusammenbruch. Ja, ich bin gestresst, ja, ich bin beinahe schon krank vor Sorge – dem Wahnsinn nahe! (Oder wie heißt das Vergnügen, nicht mehr Herr seiner selbst zu sein?)

Darum richte ich diesen Appell an dich, lieber Leser, du unbekanntes Wesen: Erbarme dich! Gib mir ein Zeichen, sei es auch nur anonym. Schreib mir ein paar Zeilen, nenne mir Himmel und Hölle deines Leseerlebnisses. Ich ertrage alles – überschwängliches Lob, sachliche Kritik, meinetwegen sogar böse Verrisse –, solange ich nur erfahre, was mein Buch in dir ausgelöst hat.

Denn nichts ist schlimmer als das große Schweigen im Walde. Selbst ein wütender Protest wäre mir willkommen, solange er ehrlich gemeint ist und aus der Lektüre (und einem ordnungsgemäß erworbenen Exemplar) kommt. 

P.S.: Selbst die empörten Stimmen geistlicher Würdenträger, die sich durch mythische oder kirchenkritische Motive in meinem Thriller auf den Schlips getreten fühlen, nehme ich gerne entgegen – vorausgesetzt, sie haben das Buch ordnungsgemäß gekauft und nicht kopieren lassen.