Mein Leser – das unbekannte Wesen
oder Der Jubel, der ausbleibt
Einige Leser hat mein neuer Thriller
*Pforte des Todes* tatsächlich gefunden – so viel ist belegt.
Ganze zwei E-Mails, ein einzelner Anruf und sogar ein nach Veilchen
duftender Brief haben ihren Weg zu mir gefunden. Alle Reaktionen
fielen äußerst positiv aus, doch leider erschöpften sie sich im
selben Muster: „Toller Roman, Gratulation!“ – und Ende.
Wie
frustrierend! Mein Herz, das zitternd dem Urteil der Leser
entgegenfiebert, schreit nach mehr als bloßen Lobfloskeln. Warum,
zum Teufel, sagt ihr mir, das Buch sei großartig, wenn ihr mir nicht
verratet, warum?
Nach all den Jahren ohne literarische
Streicheleinheiten lechze ich nach echter Rückmeldung, nach einer
ausführlichen Urteilsbegründung! Wie ist mein Stil? Habe ich
überhaupt einen? Wie gelungen ist der Aufbau der Handlung? Wie
lebendig sind die Figuren gezeichnet? Und vor allem: Wie sehr
strapaziert die Spannung eure Nerven? Kurz: Was genau macht meinen
neuen Roman so fesselnd – ist er es überhaupt?
Durst nach begründetem Feedback
Ich habe Jahre auf diesen Moment
hingearbeitet – die Wiedergeburt in der literarischen
Öffentlichkeit. Jetzt, wo *Pforte des Todes* endlich erschienen ist,
giert meine ausgehungerte Autorenseele nach detaillierten Reaktionen.
Eine bloße Gratulation ohne Begründung ist wie ein Tropfen auf dem
heißen Stein meines Egos.
Ich wünsche mir sehnlichst,
dass die Leser nicht nur „gefällt mir“ ankreuzen, sondern mir
erzählen, warum es ihnen gefällt (oder gar nicht gefällt!). Waren
es meine originellen Wendungen? Der sprachliche Witz? Die
glaubwürdigen Dialoge? Oder hat vielleicht die jahrelange Wartezeit
eure Erwartungen in ungeahnte Höhen geschraubt? Ich stehe hier wie
ein Angeklagter vor dem Richter – aber ohne die Urteilsbegründung,
die mein schreibendes Herz so dringend braucht.
Warum nur? – Ironische Erklärungsversuche
Mangels echtem Feedback bleibt mir
nur, in absurde Spekulationen zu flüchten. Vielleicht ist Pforte des
Todes ja aus ganz anderen Gründen „toll“, als von mir naiv
angenommen. Mögliche Ursachen für die Begeisterung – oder das
Ausbleiben des Mega-Erfolgs – könnten sein:
-
Versteckte Perle: Mein Roman muss erst gesucht werden, statt als
riesige Bestseller-Pyramide im Buchladen-Eingang zu thronen. Nichts
für Laufkundschaft, eher ein Geheimtipp für Schatzsucher.
-
Keine Bestseller-Plakette: Pforte des Todes steht (noch) nicht seit
drei Jahren unangefochten auf Platz 1 der Bestsellerliste. Vielleicht
traut man dem Braten nicht, wenn der Spiegel sich bedeckt hält.
-
Schlafmittel in Buchform: Möge mich der Blitz treffen für solche
Lästerung – vielleicht taugt mein Roman am Ende nur als Rohstoff
für hochwirksame, nach Buchbinderleim schmeckende Schlaftabletten?
Zwischen Hymne und Bannfluch
Dabei war das Echo keineswegs nur
spärlich. Deutschlandfunk und FAZ et co. etwa haben sich meines Romans in Rezensionen angenommen – und zu meiner kaum verhohlenen Genugtuung
nicht etwa vorsichtig, sondern mit kräftigen Worten gelobt. Von
„spannend“, „vielschichtig“ und gar „literarisch
bemerkenswert“ war die Rede. Worte, die mir das Herz wärmten und
die Federn meines Ego-Pfaus kräftig zum Schwingen brachten.
Doch
kaum hatte ich mich in dieser warmen Badewanne aus Anerkennung wohlig
zurückgelehnt, tauchte am Horizont das andere Deutschland auf –
jenes der moralischen Instanzen, die ihr Heil darin suchen, mit dem
Bannstrahl zu drohen. Man flüsterte, dass gar die
Exkommunikation im Raum stand. Ja, die Kirche sei beunruhigt über
die Abgründe, die sich in Pforte des Todes lästernd aufgetan hätten, und habe
ernsthaft über Sanktionen nachgedacht.
Zum Glück –
oder leider, je nach dramaturgischem Standpunkt – scheiterte die
angedrohte Exkommunikation an einem simplen Faktum: Ich gehöre
keiner Kirche an. Ein kläglicher Fehlschlag für die Wächter der
Moral, ein Triumph für die Bürokratie. So blieb mir der eigentliche
literarische Ritterschlag, denn was kann eine größere Ehrung sein,
als vom Kanzelpersonal höchstselbst aus der Gemeinschaft verbannt zu
werden? Stattdessen blieb nur ein Schulterzucken: „Kann man nicht
exkommunizieren, den Kerl – er hat ja keinen Mitgliedsbeitrag
gezahlt.“
Ironischer kann ein Autorenschicksal kaum
verlaufen: Auf der einen Seite das Lob der Kulturkritik, auf der
anderen das ergebnislose Donnerwetter aus dem Beichtstuhl. Ich, der
vom Kulturauge geadelte und von der Kirche bedrohte,
stehe nun da und frage mich, was schwerer wiegt – die Hymne oder
der Bannfluch, das Lob oder der halbherzige Tadel.
Ein Appell an den unbekannten Leser
Verzeiht meinem labilen
Autorengemüt, aber ich stehe vor dem Nervenzusammenbruch. Ja,
ich bin gestresst, ja, ich bin beinahe schon krank vor Sorge – dem
Wahnsinn nahe! (Oder wie heißt das Vergnügen, nicht mehr Herr seiner selbst zu sein?)
Darum richte ich diesen Appell an dich, lieber Leser, du unbekanntes Wesen: Erbarme dich! Gib mir ein Zeichen, sei es auch nur anonym. Schreib mir ein paar Zeilen, nenne mir Himmel und Hölle deines Leseerlebnisses. Ich ertrage alles – überschwängliches Lob, sachliche Kritik, meinetwegen sogar böse Verrisse –, solange ich nur erfahre, was mein Buch in dir ausgelöst hat.
Denn nichts ist schlimmer
als das große Schweigen im Walde. Selbst ein
wütender Protest wäre mir willkommen, solange er ehrlich gemeint
ist und aus der Lektüre (und einem ordnungsgemäß erworbenen
Exemplar) kommt.
P.S.: Selbst die empörten Stimmen
geistlicher Würdenträger, die sich durch mythische oder
kirchenkritische Motive in meinem Thriller auf den Schlips getreten
fühlen, nehme ich gerne entgegen – vorausgesetzt, sie haben das
Buch ordnungsgemäß gekauft und nicht kopieren lassen.