06.11.2025

 

 

 

 

FASCHIST

Die Universalfernbedienung der Empörung



Es gibt Wörter, die nicht argumentieren, sondern detonieren. „Faschist“ ist so eins. Man wirft es in die Runde, und schon knicken Stühle ein, Gesprächspartner ebenfalls. Praktisch. Nur dumm, dass das Wort, bevor es zum Allzwecketikett geriet, einmal etwas sehr Konkretes meinte: Mussolinis italienisches Projekt, die fasci di combattimento, den Marsch auf Rom, den Kult des Staates, den korporativen Zwangsanzug für eine Nation, die man als Körper verstand. Der Ursprung liegt in Italien, nicht in Deutschland. Doch im deutschen Diskurs wurde „Faschist“ zur Sammelklatsche für alles Rechte, Autoritäre, Unangenehme – und vor allem zum bequemen Ersatz für „Nationalsozialist“.

Das hat Gründe, einige harmlos, andere weniger. Die Sowjetunion prägte früh eine Sprachregel: „Faschismus“ galt als Sammelbegriff für den feindlichen Block – Nazis, Rechtsdiktaturen, bürgerliche Reaktion gleich mit. „Antifaschistisch“ war man selbst, und wer wollte schon dagegen sein. Diese Semantik wanderte in die Nachkriegsrhetorik, durch die DDR bis in westdeutsche Milieus, in denen „faschistisch“ irgendwann das sagte, was man gerade brauchte: böse, reaktionär, kapitalistisch, brutal. Das Ergebnis kennen wir: Der italienische Ursprung verblasst, der deutsche Nationalsozialismus saugt das Etikett auf, und das Wort wird zur moralischen Sirene – laut, anhaltend, aber ohne Richtungssinn.

Nun ist es verführerisch, beide Phänomene in einen Topf zu werfen; die Uniformen funkeln ähnlich, der Führerkult passt in beide Kulissen, Fackellichter sehen immer gleich aus. Aber wer die Oberfläche betrachtet, verwechselt Kino mit Geschichte. Der italienische Faschismus betete den Staat an. Er träumte von organischer Einheit, vom Eingriff in die Wirtschaft per Korporationen, vom großen, straff geführten Ganzen, das den Einzelnen in Stände einsortiert und ihm den Stolz gibt, Zahnrad zu sein. Er konnte – man verzeihe die Nüchternheit – Kompromisse schließen: mit der Kirche (Lateranverträge), mit der Monarchie, mit den Besitzständen, solange sie salutierten. Er war brutal, kolonial, verrohend, aber sein Zentrum war nicht der industrielle Mord. Der Antisemitismus kam spät, opportunistisch, 1938 als Rassengesetze: hässlich, gewalttätig, doch ohne die totalisierende Vernichtungsphilosophie als Staatsprogramm.

Der deutsche Nationalsozialismus betete nicht den Staat an, sondern Blut und Rasse. Hier war der Staat nur Gefäß, Waffe, Bühne. Der Kern war der eliminatorische Antisemitismus, die Idee vom „Volkskörper“, der angeblich gereinigt werden müsse, notfalls mit Zyklon B und Fahrplan. Der Krieg war kein Unglück der Politik, sondern ihr Zweck. Die Ökonomie wurde zum Raubzug, zur Rüstung, zur Versklavung. Die Kirchen wurden geduldet, umfunktioniert, unterhöhlt; eine Monarchie gab es nicht, nur den Führerkult. Während Mussolinis System taumelte, taktierte, stürzte und sich 1943 relativ leicht demontieren ließ, radikalisierte sich der Nationalsozialismus bis zum industriellen Massenmord, präzise, pedantisch, deutsch.

Wer also „Faschismus“ sagt und den Nationalsozialismus meint, verpasst den entscheidenden Punkt. Man könnte genauso gut beide als „Diktatur“ bezeichnen und sich danach wundern, warum gegen die eine andere Waffen taugen als gegen die andere. Therapie folgt Diagnose – wer alles gleich nennt, behandelt falsch. Der eine vergöttlicht den Staat und zwingt ihn der Gesellschaft als eiserne Form auf; der andere vergöttlicht die „Rasse“ und baut aus Menschen Material. Dieser Unterschied ist keine Fußnote, er entscheidet darüber, wie und warum die Maschine tötet.

Warum hält sich die Verwechslung trotzdem so hartnäckig? Weil sie bequem ist. Ein einziges böse Wort genügt, und der Gegner ist erledigt. „Faschist“ erspart Belege, spart Denken, signalisiert Haltung. Lehrbücher profitieren auch: Ein Schimpfwort erklärt die Welt schneller als eine Analyse, die die Nerven ruiniert. Hinzu kommt der psychologische Komfort: „Faschismus“ klingt italienisch und damit angenehm fremd. „Nationalsozialismus“ ist deutsch und scheußlich vertraut. Wer ersteres sagt, hält die eigene Verantwortung in hygienischer Distanz. Und schließlich die Gegenwart: Wir lieben Gummibegriffe, die sich dehnen lassen, bis sie alles bedecken. Autoritäres Gehabe? Faschistoid! Missliebige Politik? Faschistisch! So einfach wird man mit der Universalfernbedienung vom Sofa aus Weltretter.

Ist das bloß fahrlässig oder schon Absicht? Beides. Wer es nicht besser weiß, verwechselt in gutem Glauben. Unwissenheit lässt sich heilen. Schlimmer ist die absichtliche Nebelmaschine: die strategische Aufladung eines Gummibegriffs, der den Gegner moralisch ruiniert, bevor Argumente den Raum betreten; die Relativierung des spezifisch Nationalsozialistischen, vor allem der Shoah, indem man alles in eine Brühe rührt; die bequeme Mobilisierung durch Empörung, die das Publikum wärmt und den Kopf kühlt. Wer die Präzision meidet, handelt selten aus Zufall. Unschärfe ist Politik – nicht Methodik.

Man kann natürlich erwidern, es zähle doch das Gemeinsame: autoritär, freiheitsfeindlich, gewaltbereit – geschenkt. Aber gerade wer künftig autoritäre Bewegungen rechtzeitig erkennen und entwaffnen will, muss wissen, worauf er schaut. Ein Staat, der alles korporativ verorganisiert, braucht andere Gegenmittel als ein System, das den Nachbarn zum „Rassefeind“ erklärt. Gegen den ersten hilft die Verteidigung von Pluralität und sozialer Autonomie, gegen den zweiten die kompromisslose Namensnennung des Rassismus, die Abschirmung von Minderheiten, die konsequente Strafverfolgung der Entmenschlichung. Wer überall dieselbe Sirene heulen lässt, übertönt die Unterschiede – und riskiert die falschen Einsätze.

Es spricht also nichts dagegen, Mussolinis Faschismus „faschistisch“ zu nennen; es spricht alles dafür, Hitlers Herrschaft beim Namen zu nennen: nationalsozialistisch. Und wenn es um die Phänomene unserer Gegenwart geht, lohnt sich die Mühe der Worte: autoritär, illiberal, völkisch, rassistisch, verschwörungsgläubig. Begriffe sind Werkzeuge, keine Totschläger. Wer mit dem Vorschlaghammer alles „Faschismus“ nennt, ist erstaunlich schnell fertig – und hat erstaunlich wenig repariert.

Die Pointe ist bitter und einfach: Je genauer die Sprache, desto geringer die Verführung. Die Opfer der Geschichte haben Anspruch auf diese Genauigkeit, und die Lebenden brauchen sie, um zu begreifen, was ihnen droht. „Faschist“ als Allzweckfluch wärmt die moralische Selbstzufriedenheit – und kühlt die Erkenntnis. Wer wirklich aufklären will, unterscheidet. Wer unterscheidet, entwaffnet. Wer nicht unterscheidet, bewaffnet am Ende die Falschen. Und,- ehrlich? – ist der Faschismusbegriff nur deshalb noch nicht in die Kritik geraten, weil sich damit auch unlautere Vorteile ergattern lassen?