Hitlers Hunde und die deutsche Dauerschleife
Es gibt Abende, da könnte man meinen, die Fernsehredaktionen hätten nur eine einzige Schublade: „Nazizeit“. Egal ob Phoenix, ZDFinfo oder Arte – irgendwer zeigt garantiert gerade wieder Hitler beim Hände-in-die-Hüften-Stemmen. Bald wird vermutlich noch eine Doku über seine Zahnpasta folgen. „Hitlers Hunde“ oder „Nazipferde“ sind inzwischen nicht mehr nur böse Witze, sondern satirisch greifbare Zukunftsformate.
Man will erinnern, aufklären, mahnen. Das Problem: Irgendwann ist Schluss mit Mahnung, wenn sie wie eine Tropfsteinhöhle auf die Zuschauer niederperlt. Wer nach 1945 geboren ist, kann mit Recht fragen: „Und was genau habe ich damit zu tun?“ Doch wehe, man stellt diese Frage laut – schon hängt der moralische Pranger bereit.
Das pädagogische Dauerfeuer
In Deutschland gilt: Ohne Nazidoku kein Bildungsauftrag. Der Blick zurück ist Staatsräson. Jeder Schüler hat mindestens dreimal „Schindlers Liste“ gesehen, jede Abiturklasse mindestens einmal Dachau oder Buchenwald besucht. Sinnvoll? Ja. Aber irgendwann verwandelt sich die kluge Mahnung in ein pädagogisches Dauerfeuer. Die Moralkeule wird so oft geschwungen, dass man sie nicht mehr spürt – oder man schlägt zurück.
Denn da ist das Missverständnis: Erinnerung ist nicht gleich Schuld. Doch genau so wird es häufig verkauft. Menschen, die erst in den Fünfzigern, Sechzigern oder Siebzigern geboren sind, sollen noch immer ein Bekenntnis ablegen, als hätten sie persönlich in Braunhemden marschiert. Das Ergebnis: Trotz. Resignation. Oder schlicht genervtes Wegzappen.
Wenn Dokus zum Futter werden
Besonders absurd: Was als Aufklärung gedacht ist, dient Neonazis und Rechtsradikalen als Material für ihre eigene Märchenwelt. In einschlägigen Foren kursieren Ausschnitte aus seriösen Dokus, unterlegt mit Marschmusik und Heldenpathos. „Seht her, was für eine starke Zeit!“ wird dann geschrien. Und während der Sender noch glaubt, er hätte erzieherisch gewirkt, jubelt die rechte Blase: Gratispropaganda direkt aus der Mediathek.
Mit anderen Worten: Wer die Nazi-Schleife zu oft wiederholt, liefert unfreiwillig das Soundtrack-Album für jene, die man eigentlich immunisieren wollte.
Moralischer Druck als Bumerang
Noch heikler wird es, wenn persönliche Verantwortung ins Spiel kommt. Wer heute öffentlich spricht – sei es in einer Talkshow oder einem Interview – wird gern gefragt, ob er sich „zu seiner Verantwortung gegenüber den Juden und Israel“ bekennt. Verantwortung, klar. Aber nicht selten wird daraus ein Zwangsbekenntnis. Wer sich windet oder Differenzierungen wagt, landet schneller in der rechten Ecke, als er „Auschwitz“ buchstabieren kann.
Doch so einfach ist Geschichte nicht. Schuld ist nicht vererbbar. Verantwortung aber schon – im Sinne von Wachsamkeit, von demokratischer Haltung, von Wehrhaftigkeit gegen Antisemitismus. Genau dieser Unterschied ginge auf jede Postkarte. Doch solange man lieber die Dauerpumpe betreibt, verpufft die Botschaft.
Erinnerung braucht Frischluft
Was also tun? Weniger Hitler. Mehr Gegenwart. Statt die tausendste Analyse von Goebbels’ Reden zu senden, könnte man lieber fragen: Wie funktionieren Fake News heute? Welche Parallelen gibt es zwischen damaliger Propaganda und heutiger populistischer Rhetorik? Warum marschieren auch heute Menschen lieber hinter Schreihälsen her, statt Fakten zu prüfen?
Kurz: Erinnerung muss mehr sein als Wiederholung. Sie muss Kontext schaffen. Wer nur den Hitler-Kanal einschaltet, bekommt irgendwann Rückkopplungen – und zwar genau die, die niemand haben will.
Nie wieder – aber bitte intelligent
Die deutsche Dauerberieselung mit Nazi-Themen hat ihre Grenzen erreicht. Statt der endlosen Wiederholung braucht es Formate, die neu denken, Fragen stellen, Widersprüche aushalten. Wer weiter glaubt, man könne mit Hitler-Dokus den Rechtsextremismus besiegen, irrt.
Denn vielleicht ist das eigentliche Problem nicht das Vergessen – sondern das Überfüttern. Und wer überfüttert, muss sich nicht wundern, wenn manche irgendwann nach anderem Futter gieren.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen