17.08.2009

Gemordet wird im fernen Amerika











Schon erstaunlich, was man in abgestellten und plötzlich wieder auftauchenden Kisten findet. Der Beitrag über den spanischen Kriminalroman erschien wohl 1988:



Gemordet wird im fernen Amerika

Notizen zur spanischen Kriminalliteratur von gestern und heute

Kriminalliteratur kann als ein Genre beschrieben werden, dass sich aktuell mit den Verbrechen in und an der Gesellschaft auseinandersetzt. Gedeihen kann sie nur dort, wo der Schreiber die Möglichkeit hat, seine Bücher zu veröffentlichen. Kriminalliteratur ist die Literatur der Freiheit. Die Entwicklung des Kriminalromans in Spanien untermauert die These, dass Kriminalliteratur ein Kind freiheitlicher Ordnungen ist und nur in Systemen gedeihen kann, in denen weder Meinung noch das Wort erfolgreich unterdrückt werden.

Im Spanien Francos gab es keine Freiheit. Infolgedessen konnte sich in ihm auch keine Kriminalliteratur entwickeln, die diesen Namen verdient. Was es gab, war zwischen Buchdeckeln geklebte Lüge, etikettiert mit den Begriffen „novela policiaca“ und „novela negra“. Die hellwache, von vielen Bürgern gar nicht wahrgenommene Zensur des faschistisch-klerikalen Systems verhinderte eine eigenständige, kritische Kriminalliteratur bewusst, weil sie erkannt hatte, daß der Herrschaftsapparat wegen seiner zahlreichen Verbrechen im und nach dem Bürgerkrieg selbst zum »Fall« dieser Literatur geworden wäre. Wie in anderen Diktaturen, versuchte auch die spanische Propaganda, Franco als weisen, unfehlbaren Führer darzustellen, dem es gelungen war, mit der Vernichtung der Republik auch das Verbrechen auszurotten. Kritische Kriminalliteratur passte nicht ins Konzept und hatte in den argwöhnisch kontrollierten Verlagen auch keine Chance, veröffentlicht zu werden.

Ein Widerspruch scheint es zu sein, daß die Verlagsverzeichnisse jener Zeit dennoch reihenweise Kriminalromane auswiesen und anpreisten. Autoren wie Antonia Martinez Tones, Guillermo Lopez Hipkyss, Miguel Olivares Tovar und Pedro Debrigode Duggi füllten Regale in den Buchhandlungen und wurden von der begleitenden Kritik als exzellente Adepten Hammetts und Chandlers gefeiert - und in hohen Auflagen verkauft. Was sie schrieben - und zwar unter angelsächsisch klingenden Pseudonymen - waren unkritische Handlungsmuster der Vorbilder, kopierende Versatzstücke des Kriminalromans, deren Schauplätze und Handlungen ausnahmslos im Ausland angesiedelt waren. Die Helden killten in Paris, London und New York, sie waren Franzosen, Engländer und Amerikaner und so echt wie Hongkong-Rolex.

Sicherlich hatte die Masche auch einen verkaufspsychologischen Hintergrund. Ausländer im Genre wirkten glaubwürdiger. Der Leser, der zu jener Zeit kaum Reisemöglichkeiten hatte, konnte sich mit solchen Büchern den Traum der Ferne wenigstens vorübergehend erfüllen und seine persönliche und die politische Isolation seines Landes vergessen. Aber hinter dieser Mache stand die reale Repression, das Kalkül, zu demonstrieren, daß Verbrechen Sache des Auslandes sind und im eigenen Staat Ordnung herrschte. Auch hätten spanische Polizisten, im Volk als Exekutoren einer geradezu bösartigen Repression verschrien, kaum sympathische Helden abgeben können.

Die in der Maske des Kriminalromans vorhandene Literatur jener Zeit war von A bis Z verlogen, bot in sich jedoch ein Spiegelbild der Realität: Wahr sein durfte nur, was als wahr offiziell genehmigt war. Falsche Autorennamen, falsche Schauplätze, falsche Polizisten vor falschem Hintergrund fanden sich in den Romanen, die - man kann die Not der Schreiber erahnen - sicherlich auch Fluchtbücher waren, Früchte der Kapitulation vor der Macht, Auswüchse von Resignation und Hoffnungslosigkeit angesichts der etablierten und in alles eingreifenden Diktatur. Aber auch eine Anerkennung der Staatspropaganda, die trotz vorhandener innerer Spannungen und internationaler Ächtung das Bild einer heilen und glücklichen Nation vermittelte.
Mit Francos Tod, mit den Wehen, in der die Demokratie geboren wurde, entwickelten Autoren wie Vasques Montalban, Francisco Gonzales Ledesma, Andreu Martin und besonders Juan Madrid und Pedro Casals eine Kriminalliteratur, die - gemessen am europäischen Standard - einen hohen Stellenwert einnimmt. Realitätsverpflichtet, haben diese Autoren nie nach offzieller Anerkennung oder materiellem Erfolg gesucht, sondern jene Wahrheit mit all ihrem Dreck beschrieben, die hinter den Fassaden zu finden ist. Juan Madrid z.B. versteht sich als urbaner Schreiber,
als Chronist der Straße und des Lebens in den »barrios« der großen Städte. Wie Andre Martin, Gonzales Ledesma und Vasquez Montalban spürte er dem Druck nach, der Leiden verursacht. Die modernen Vertreter des Genres sehen sich als politische Schriftsteller, stellen in ihren Romanen die Frage nach den politisch-gesellschaftlichen Ursachen des Verbrechens, begreifen Kriminalität als systembedingt und - wie Andréu Martin und Pedro Casals - als Sieger im Kampf gegen die Legalität. Sie alle bohren unnachgiebig in den Wunden der jungen Demokratie, die rücksichtsvoll und um sich nicht zu gefährden, die »weiche« Abnabelung von der Diktatur vollzogen hat, damit in Kauf nehmend, daß halt faschistisch-klerikale Einflüsse und Ungerechtigkeiten erhalten geblieben sind.

Der Einfluss amerikanischer Vorbilder ist bei nahezu allen Autoren deutlich spürbar, wenn auch Juan Madrid, Andréu Martin und Pedro Casals mit ihren letzten Werken in neue Bereiche vorgestoßen sind, die hoffen lassen, daß sich eine originale, eigenständige spanische Kriminalliteratur entwickelt. Sicher ist, der spanische Kriminalroman ist vital und läßt für die Zukunft viel erwarten.

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